Räume für Experimente. Die Ausstellung 'Ruum ja Vorm'

Die experimentelle Ausstellung ,Ruum ja Vorm‘ – Raum und Form – fand erstmals 1969 in der Kunsthalle Tallinn statt und erlebte in den folgenden Jahren weitere Auflagen. Idee und Organisation stammten von den in der Künstlervereinigung der Estnischen SSR organisierten Designer:innen, die einem breiten Publikum aktuelle Probleme moderner Umweltgestaltung vermitteln wollten. Die Konzepte der Ausstellungen rund um ein zentrales Thema wurden jeweils von verschiedenen Designer:innen entwickelt. Spektakuläre Rauminstallationen veränderten die lichtdurchfluteten Räume der Kunsthalle auf kaum wiedererkennbare Weise.
Experimentieren, Standardisieren und Individualisieren – das waren die Schlüsselbegriffe der ersten Ausstellung. Mit standardisierten Elementen sollten neue, nicht-standardisierte Lösungen entwickelt werden; etwa durch neue Formen, Materialien und Farben, die individuelle Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des Standards eröffneten. Die als offener Vorschlag an Designer:innen und Besucher:innen gerichtete Präsentation führte zudem Recherche und Analyse als Teile des Designprozesses ein. In der ersten Ausstellung standen modulare Einheiten, mit denen komplex strukturierte Räume gestaltet werden konnten, im Fokus.
Die zweite Ausstellung konzentrierte sich auf eine abstrakte Objekt-Raum-Gestaltung. Überwiegend wurden frühe Arbeitsstadien nicht realisierter Entwürfe präsentiert. Dies verstärkte den Assoziationsreichtum beim Betrachten und betonte eher den Drang zum Experiment anstatt Stereotypen zu schaffen. Die Ausstellung war als Labyrinth aus massiven Sperrholzwänden gebaut und gestattete aus unterschiedlichen Sichtachsen ganz verschiedene Ein- und Durchblicke in die einzelnen Räume. Der Gestalter hatte auf diese Weise versucht, die nach seiner Meinung zu statische Form der ersten Ausstellung zu vermeiden.
Im Vergleich zu den beiden vorangehenden hatte die dritten Ausstellung ,Inimene ja puhkus‘ – Mensch und Urlaub – die klarste Ausrichtung. Es wurden ausdrücklich nur funktionelle Lösungen präsentiert. Und obwohl sie immer noch einen unkonventionellen Blick in die Zukunft bot, schien die Ausstellung ihren innovativen Charme verloren zu haben. Das Interesse an der Ausstellungsreihe ,Ruum ja Vorm‘ war groß, was sowohl die Besucherzahlen, die mediale Berichterstattung als auch die Kritik belegen. Lange blieb sie die einzige ihrer Art in der Sowjetunion und erlangte regional wie überregional Ansehen. Erstmals wurde mit diesen Ausstellungen die Bedeutung der Analysephase im Designprozess herausgestellt. Trotz ihres grundsätzlich experimentellen Charakters wurden in den Folgejahren zahlreiche der präsentierten Projekte realisiert und in die Praxis überführt.

Kai Lobjakas
4bRäume für Experimente
Räume für experimente. Die Ausstellung 'Ruum ja Vorm', Foto: David von Becker