Geteilte Lebenswelten. Wohnen mit Raumteilern
Raumteiler sind ein emblematisches Phänomen der Ungarischen Volksrepublik in den 1960er Jahren. Sie verdeutlichen eine Atmosphäre, die aus der Mangelwirtschaft und der Isolation der ersten Jahrzehnte in sowjetischer Hegemonie erwuchs.
Gemeinschaften konnten nur unter der Kontrolle durch staatliche Behörden entstehen. Infolgedessen begann sich die Gesellschaft allmählich zu atomisieren, da ihre Mitglieder gelernt hatten, dass es sich nicht lohnte, gemeinsam aufzubegehren, und dass alles außerhalb des privaten Bereichs ausschließlich der staatlichen Gerichtsbarkeit unterliegt. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs wurde die Bewegungsfreiheit Richtung Westen abgeschafft. Die Regierungspartei zerschnitt das Gefüge der Gesellschaft in disparate Realitäten, was sich in den Betonwohnblöcken widerspiegelte, die das Stadtbild prägten. Besonders in der Hauptstadt und den größeren Industriestädten wurden Siedlungen gebaut. Ein Großteil der Gesellschaft gab sich mit sicherem Wohnraum zufrieden. György Petri, einer der talentiertesten oppositionellen Dichter der Zeit, bezeichnete die Wohnanlagen auf seine typisch ironische Weise als ‚zehngeschossige Startrampe’ und ‚Arbeitskräfte-Schleuder’. In der idealistischen Vorstellung sollten die Siedlungen soziale Unterschiede ausgleichen und allen Einwohner:innen den gleichen Lebensstandard gewährleisten.
In der Praxis funktionierte diese Theorie jedoch nicht. Die Wohnanlagen zersetzten zunehmend das Leben der Bewohner:innen. Das sprichwörtliche Verbauen des Horizonts sorgte dafür, dass die Menschen nach und nach um ihre privaten Lebensräume Mauern hochzogen und Zäune errichteten. So erhielt der Vorhang im Ungarn der 1960er Jahre geradezu sinnbildlichen Charakter. Von den späten 1950er bis in die frühen 1960er Jahre schossen sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum Trennwände wie Pilze aus dem Boden. Das Wandmotiv, das Grenzen bezeichnet, wurde zu einem typischen Element der visuellen Welt. Nicht nur in Form haptischer Trennwände, auch in zweidimensionalen Kunstwerken traten die klaustrophobischen Motive in Erscheinung. In den hier vorgestellten textilen Arbeiten, die von dunklen Farbtönen dominiert werden, finden sich Motive räumlicher Trennungen in Form von Mauern, Gittern oder abgetrennten Lebensräumen. Unsere Forschungen zeigen den Einfluss der Sozialpolitik der damaligen Zeit auf das Design öffentlicher und privater Lebensräume. Dabei projizierten nicht nur die zentralen Staatsorgane die Klaustrophobie der 1960er Jahre in diese Räume, auch andere gesellschaftliche Akteure reproduzierten diese Mauern in Form von Raumteilern und Heimtextilien. Doch Einflüsse wie der ,Prager Frühling‘ und die Pariser Studentenrevolten von 1968 machten sich bemerkbar: Die Gitterstrukturen in den Flächengestaltungen lockerten auf, organische Formen und eine hellere Farbpalette kamen zum Vorschein.